Fatcat (16:32):
Was zum Geier ist ein Arschleder??!
"Damit schützten die Bergleute damals ihren Hosenboden vor Nässe und Kälte.Eine Art dreieckiges Ledertuch, das hintenrum am Gürtel getragen wurde.", Oma Cohen wickelte eine weitere Rolle Mull um Caspars geschundenes Haupt. "Und es schützte empfindliche Stellen bei Stürzen... Sowas könntest du auch ganz gut gebrauchen." Caspar war immer noch benommen. "Wahrscheinlich hast du eine leichte Gehirnerschütterung... Keine Sorge, das geht alleine wieder weg."
"Ich bin erschüttert...", murmelte Caspar.
Oma lächelte. "Ein unvorhersehbarer Zufallsimpuls. Wahnsinnig schwer nachzustellen, hab ich mir sagen lassen."
Caspar wußte, dass Oma Cohen in ihrem Leben mehr als einen Beruf ausgeübt hatte und es war auch nicht das erste Mal, dass sie ihn verarztete. Dennoch wunderte er sich ein wenig über die Sorgfalt mit der die alte Dame ihn nun behandelte.
"Nach dem Krieg war hier alles britsche Besatzungszone. Gar nicht weit weg gab es ein improvisiertes Militärkrankenhaus, dort habe ich einige Monate als Krankenschwester gearbeitet.",erzählte sie nun, als ob sie seinen Gedanken erraten hätte. "Dort habe ich dann auch meinen Mann kennengelernt."
Nach dem Krieg... Caspar fiel sein Bunker ein und er überlegte, ob er Oma Cohen darauf ansprechen sollte. Damit wäre sein neues Versteck bereits kein Geheimnis mehr. Caspar tat sich mit Geheimnissen schwer. -Dieses eine Mal behalte ich etwas für mich!- , dachte er und glaubte es auch fast. Oma war in die Küche verschwunden und erledigte dort Küchendinge. Caspar saß zurückgelehnt in dem schweren Ledersessel und starrte ins Leere. Irendetwas blendete ihn aus der Ecke des Zimmers. Er kniff die Augen zusammen und erkannte eine hübsche silberne Taschenuhr. Oma Cohen hatte sie auf ein blaues Samtkissen gebettet, welches auf einem kleinem Podest ruhte. Es war ein erstaunlich exponierter Ausstellungsplatz für dieses schöne Stück. Die meisten Uhren im Zimmer waren, unabhängig von ihrem Wert, an beliebige Standorte verteilt. Natürlich hatte Oma Cohen auch ihre Lieblingsstücke und bewarte diese wie einen Zarenschatz in einer kleinen Vitrine. Außerdem hatte sie eine Wand für Uhren reserviert, denen sie einen besonderen Erinnerungswert zumaß. Diese Wand war nicht annährend so vollgestopft wie die anderen, was die seltsame Zusammenstellung der dort hängenden Stücke nur noch deutlicher erscheinen ließ.
Caspar betrachtete die funkelnde Taschenuhr. Er hatte keine Ahnung von antiken Uhren, auch ließen ihn die heutigen Zeitmesser völlig kalt. Seit seinem 15. Lebensjahr hatte Caspar keine Armbanduhr mehr getragen. Und auch wenn es seine Mitmenschen nicht selten in den Wahnsinn trieb, er hatte sie nie als nötig empfunden. Ideen kümmerten sich nicht um Uhrzeiten, ebensowenig wie Kraft oder Motivation. Wer auch immer seinen Tag in winzigste Bruchtücke zerteilt sehen wollte, sollte das seinetwegen auch so tun. Seinen Tag, eher noch seine Nacht, genoß Caspar am Stück, nicht in Scheiben. Doch dieses Ding... war wirklich schön. Es strahlte... Erhabenheit aus, wenn ein Gegenstand so etwas konnte. Oma Cohen brachte ihm ein weiteres Glas Wasser, folgte seinem Blick und schmunzelte.
"Hübsch, nicht wahr?", fragte sie wie beiläufig.
"Wunderschön!", Caspar war verwirrt, mehr als gewöhnlich. "Ich hab diese Uhr bisher noch nie hier gesehen... Ist sie neu? Woher haben sie sie?"
"Du machst auch nie deine Augen wirklich auf! Als Künstler solltest du doch einen wachen Blick haben! Schönheit rings um dich her... und du kriechst in finsteren Kellern herum!", Oma wirkte nicht streng sondern amüsiert.
Caspar verstand kein Wort. "Ähm..? Diese Uhr liegt also.. äh?"
"...seit etwa zwei Stunden an diesem Ort.", gab Oma Cohen bekannt.
"War ich denn so lange da unten?", Caspar ging auf, dass er in einem Zimmer voller Uhren saß und keine Ahnung hatte wie spät es war. Er hatte sich bis jetzt einfach nicht dafür interessiert.
"Fast fünf Stunden warst du weg. Ich hab gedacht, du wärst zwischendurch rausgegangen.", meinte Oma.
-Das heißt, sie hat diese Taschenuhr dorthin gelegt, als ich im Keller war-, überlegte Caspar, -Was soll denn dann diese Orakelei um Schönheit?-
Oma Cohen setzte sich ihm gegenüber auf das schmale alte Sofa und goß sich selbst ein Glas Mineralwasser ein. "Diese Hitze...", seufzte sie und fechelte sich mit der Tageszeitung etwas Luft zu. "Sie erinnert mich an Südafrika! Nur ist es hier gottseidank nicht so feucht. Und Moskitos gibt es hier auch keine."
"Sie waren schon einmal dort?", Caspar hatte seit seiner Kindheit eine seltsame Sehnsucht nach diesem Kontinent gefühlt. Er konnte nicht einmal genau sagen warum.
"Das ist jetzt etwa 6 jahre her...1986, kurz bevor du hier eingezogen bist.",antwortete Oma und schaute in ihr Wasserglas, als ob irgendwo darin ihre Erinnerungen schwammen.
"86!...Da war Paul Simon in Südafrika und hat dort Graceland aufgenommen!", Caspar hatte sich vorgebeugt.
"Er war großartig! Das ganze Konzert war großartig!", Oma schaute noch immer mit verschwommenen Blick in ihr Glas.
"Sie verar... Sie nehmen mich doch auf den Arm! Sie waren dort! Sie haben Paul Simon live gesehen?", Caspar war perplex. Er hatte die alte Dame nie auf ihren Musikgeschmack angesprochen, warum auch? DasRadio in der Küche lief beinahe den ganzen Tag und ihr schien die Senderwahl fast vollständig egal zu sein. Sie schien bei jedem Lied gleich vergnügt.
Oma war aufgestanden und lächelnd zum Plattenschrank gegangen.Sie stöberte ein wenig, zog dann eine säuberlich in Folie gehüllte LP hervor und reichte sie Caspar. -Graceland-
Mit der Andacht, die einer Reliquie würdig war nahm Caspar den Schatz entgegen. Die Platte war handsigniert, darüber hinaus mit persönlicher Widmung. "Jambo my dear! You could have been my Mrs Robinson! Truly yours - Paul", Caspar klappte der Kiefer herunter.
Oma kraulte sich etwas verlegen den Nacken und schaute zur Decke. "Das war damals in den 60ern. Gra`m und ich haben damals in London gewohnt. Wir hatten dort auch ein Haus."
Oma kramte in einer Zigarrenschachtel voller Fotos und reichte schließlich eine vergilbte Aufnahme an Caspar. Ein hübsches Paar mit iritierenden Frisuren stand lachend vor einem heruntergekommenen Stadthaus. Sie deutete mit ausladender Geste auf einen Plattenladen im Erdgeschoss. "Clocks&Tunes" stand in bunten Buchstaben über dem Schaufenster.
"122 Berwick Street, da war vielleicht was los!", Oma lächelte. "Mein Plattenladen hat sich gerade lang genug gehalten um Paul zu einer Signierstunde einzuladen. Mit Art war er damals ja ziemlich verkracht. Der wollte natürlich nicht kommen. Nu, Paul hatte wohl ein Auge auf mich geworfen. Ich hab ihm ja gesagt, dass ich verheiratet bin... Und er hat Gra`m auch kennengelernt später. Das waren halt die 60er. Paul war dann bald auch schon mit Peggy verheiratet. Ich komm nicht mehr auf ihren Nachnamen, Hopper oder Harmer oder sowas." Oma grübelte. "Harper!", meinte sie schließlich "Peggy Harper hieß sie... Nun, auf jeden Fall hab ich Paul zu dieser Zeit kennengelernt. Und als ich dann, Jahre später in Südafrika war, hab ich die Gelegenheit natürlich genutzt und ihn nach dem Konzert besucht." Sie stand nun wieder am Plattenschrank und zog einweiteres Album heraus. "Wednesday Morning, 3 A.M. Simon and Garfunckel... Nu, diese alte Widmung werde ich dich mal besser nicht lesen lassen. Wir könnten ein wenig in 'Graceland' hineinhören, oder? Oder sind deine Kopfschmerzen zu arg dafür?"
Alles ist besser als das Steigerlied, dachte Caspar. Und Paul Simon war sogar deutlich besser!
"Nein, gerne!", er lehnte sich wieder zurück. Oma war sichtlich erfreut und klappte ihre alte, aber gut gepflegte Musiktruhe auf. Einen kurzen Moment später knisterte heißgeliebtes Vinyl durch holzgefaßte Lautsprecher.
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