Dieses Blog durchsuchen

Donnerstag, 3. Juni 2010

Onlineroman: Caspar - David - Frederic Teil4

An diesem Ort hätte David vielleicht eine Schlachterei erwartet, bestenfalls eine Spedition. Er hatte immer gedacht, dass eine Galerie vor allem Fuß-Kundschaft... er grübelte kurz, an dem Wort stimmte etwas nicht.. auf alle Fälle Leute brauchte, die vorbeigingen, um gegebenenfalls durch ein Schaufenster hinein zu schauen. Hier gab es nicht einmal einen Gehweg. Der nächste Laden war ein Baumarkt und das Gebäude selbst glich von aussen einer heruntergekommenen Lagerhalle. "Das war hier mal eine Lagerhalle.", teilte Caspar ihm mit. "Seit drei oder vier Jahren gehört der Schuppen Mae. Keine Angst, drinnen wird`s besser!". David hatte den Panda rückwärts an das alte Rolltor geparkt und beobachtete nun, wie Caspar ein dutzend Schlüssel durchprobierte. "Sie ist wohl kurz mal weg.", rief er zu David rüber. "Aber ich habe immer die Schlüssel da.. für alle Fälle.". Caspar genoss als Lokalmathador und persönlicher Freund der Galeristin gewisse Vorteile. GALERIE BIRNBAUM stand auf einem Messingschild neben dem Tor und auf dem breiten Innenhof, der von zahlreichen kleineren Gebäuden umrahmt wurde harrten einige undefinierbare Skulpturen einer ungewissen Zukunft. Ein wunderschöner alter Mercedes stand etwas abseits nahe den Müllcontainern. Irgendein Schwerverbrecher hatte damit begonnen ihn mit bunten Blümchen zu bemalen. David schauderte ein wenig angesichts solchen Frevels.
Caspars Bemühungen das Tor zu öffnen schienen nun zum Erfolg zu führen. Dave rollte den Wagen vorsichtig in die Halle. Sie luden die bunten Leinwände auf eine Holzpalette um und während Caspar dieselbe ungeschickt mittels eines Hubwagens in einen Nebenraum verfrachtete schaute sich David die Galerie an. Es WAR besser als draußen, soviel war sicher. Allerdings war es auch nicht wirklich das, was er erwartet hatte. Bisher kannte er Kunstgalerien nur aus dem Fernsehen. Dort waren sie sterile, streng geometrische Orte mit weißen Wänden, kühlem Licht und glattpolierten Fußböden. Das hier war anders. Gut, die Wände waren defakto weiß, allerdings bestanden sie aus unregelmäßig zusammengezimmerten Holzlamellen und waren oft nur mit viel gutem Willen als senkrecht zu bezeichnen. Metalltrittbretter mit hüfthohen Geländern bildeten einen Pfad durch das Gebäude, der über Treppen und kleine Brücken führte. Sand knirschte unter den Füßen und die Bleche wippten beim darüberlaufen leicht nach. Gute zehn Meter über der Halle trohnte das Wellblechdach mit großen Oberlichtern auf einem angerostetem Metallgestell. Zur Zeit waren nur wenige Werke ausgestellt. Eine Gruppe dunkelgrüner Frauengestalten aus Kunstharz schrie mit weit aufgerissenen Augen die Hallendecke an. Zum Glück hatte jemand den Ton abgeschaltet. In Davids Augen waren sie außergewöhlich hässliche Schaufensterpuppen und er hatte den Verdacht, dass sie das wußten. "Hast du die gemacht?", rief David über die Schulter. Caspar kam mit einer seiner Holzskulpturen angeschleppt. "Ich bitte dich!", keuchte er gekränkt. "Hast du eine Ahnung, wie teuer Kunstharz ist?! Das da vor dir ist der Hexenzirkel von Gustav Brömmel.". "Gesundheit!", wünschte Dave trocken. "Und was soll das sein?"
"Prometheus! Mae hat ihn heute nachmittag schon mitgenommen." David blickte ausdruckslos auf das Ding vor ihm. "Prometheus... Du weißt schon..griechische Mythologie... Hat den Göttern das Feuer gestohlen."
"Ach was!", antwortete Dave. "Da hat er ja nochmal Schwein gehabt!"
Caspars stutzte. "Naja, immerhin ist er aus Holz, oder?" , gab Dave zu bedenken.
"Ähm ja...TUSCH! Hör mal, ich muss nochmal rüber zum Baumarkt. Der verdammte Adler will einfach nicht halten."
David schaute auf seine Uhr. "Dann beeil dich mal, der macht in zehn Minuten zu. Hier...", er warf Caspar die Autoschlüssel zu.
"Jepp! Danke! Du willst hier warten?"
"Ich hab da gerade was entdeckt...", David nickte in die entsprechende Richtung. "Darf ich?"
Caspar grinste, "Klar, mach nur! Dafür steht er ja da! Viel Spaß!"
Davids Puls stieg als er auf den alten Flügel zuging. Ein Feurich, bestimmt fünfzig Jahre oder älter. Das war mal was! Schweres, echtes altes Holz. Kein Vergleich zu den butterweichen Plastiktasten seines geliebten Roland-Keyboards. Er setzte sich andächtig auf die Konzertbank und klappte den Deckel hoch. Er drückte probehalber eine Taste durch und ließ die Saite schwingen. Lupenrein, warm und tragend klang der Ton durch den Raum. David spürte die Schwingungen in seiner Fingerspitze und bekam eine Gänsehaut. Er spielte einen Emoll-Akkord, ließ C-Dur und D-Dur folgen. Die simpelsten Tricks klangen auf diesem Instrument einfach überirdisch! Dann atmete er langsam aus, schloss die Augen und spielte. Die vierte, die fünfte, vermindert... und...
"I heard there was a secret chord, that David played and it pleased the Lord...", die Stimme hatte sich einfach dazugesellt. Klar wie ein Bach im tiefsten Winter.
"...But you don`t really care for music, do you?", sagte ein viel coolerer Dave durch seinen Mund. Er hatte sich auf der Bank umgedreht und blickte nun in leuchtend grüne Augen. "Weiterspielen! Weiterspielen!", flehte Mae und trommelte sanft auf seiner Schulter.
David spielte seinen geheimen Akkord, der gar nicht so geheim war und Mae sang. Das kalte und gebrochene Hallelujah hallte verzweifelt durch die Galerie und eine Strophe später saß Mae neben ihm auf der Konzertbank. David spürte ihre Wärme neben sich und atmete ihren Duft. Ihm brach der Schweiß aus! Weitere drei Strophen und ein Zwischenspiel später war Mae wieder aufgestanden und lehnte nun mit verträumten Blick am Flügel. "Wow!", brachte sie hervor. "Wow...", gab David zurück und klammerte sich an die Bank, in der Hoffnung, dass diese ihn halten würde, wenn er kollabierte.
"Du bist der Dave, richtig?", fragte Mae um ihm Starthilfe zu geben.
"Ähm ja.. eigentlich David, aber Dave ist in Ordnung...", faselte David und spürte wie seine Ohren rot anliefen. Bei Ohren solchen Formats war es unmöglich das zu verstecken.
"Ich bin Mae, eigentlich Maren.", sie streckte ihm gespielt förmlich die schmale Hand entgegen. Daves Hände schwitzten und er zögerte. Er überwand sich gerade noch rechtzeitig und girff ihre Hand. Sie blieb völlig gelassen. "Du spielst wahnsinnig gut!", sagte sie jetzt. "Das liegt nur am Flügel.. Der ist perfekt gestimmt... Sie singen wirklich schön.", Daves Hirn arbeitetete mangels denkfähiger Alternativen mit dem Satzbaukasten. "Wir waren schon beim Du." erinnerte ihn Mae sanft. "Ich hatte mir dich ganz anders vorgestellt. Caspar erzählt ja nicht wirklich viel." Das war David neu. Caspar war in der Lage einem nicht nur eine Frikadelle ans Ohr zu labern, die seiner Ohren würdig war, es gab oft genug auch noch Beilagen und Salat. Diesen bezaubernden Salat hatte er unterschlagen. "Häbrrmm.. Blb.. ähm", antwortete Dave wörtlich, sein Sprachzentrum hatte Maes Dekoltée entdeckt. "Hmmm?", gurrte Mae amüsiert. "Hier oben bin ich.. auch!"
"Verzeihung", brachte Dave heraus und riss sich zusammen. "Das gerade war...", Mae nickte begeistert. "Ja! Das sollten wir mal wiederholen."
"Ja!", sagte David. Wer auch immer in seinem Bewußtsein bis vor kurzem das Kommando gehabt hatte, er hatte die Brücke verlassen. "Unbedingt!"

Mae hatte sich noch zweimal zu ihm umgedreht und gelacht, bevor sie sich ihren Arbeiten widmete. Dave war am Flügel sitzen geblieben und schon bald war ihm aufgegangen, dass es wohl schlauer wäre nun auch weiterzuspielen. Er improvisierte ein Medley von Genesis-Songs und versuchte gar nicht erst selbst zu singen. Beim letzten Versuch hatte er von allen Hausbewohnern, inklusive Oma Cohen, Prügel bezogen. Gelegentlich durchquerte Mae den Raum, trug bunte Objekte an ihren Bestimmungsort und sang passagenweise, wenn ihr ein Song gefiel. Bei Genesis war sie nicht annährend so textsicher wie bei John Cale, aber das störte Dave wenig. Caspar erschien am Tor, horchte kurz und sang dann lauthals "...You`re no son, you`re no son of mine!", immerhin.. er traf die Töne. Er hockte sich zu seinem Totem und kramte diverse Bastelutensilien aus seiner Plastiktüte. Mae hatte sich in die Mitte des Hexenzirkels gestellt und den Kopf in den Nacken gelegt. Jetzt riss sie die Augen weit auf und kreischte sehr hexenmäßig. Caspar zuckte erschrocken zusammen, Dave versemmelte seinen Akkord und Mae lachte herzlich. "Die Damen würden nun auch gerne die Halle verlassen. Vielleicht könntet ihr ihnen etwas Geleit geben?" Dave kam rüber, griff einer der Scheußlichkeiten um die Hüfte und trug sie Mae hinterher. Caspar stemmte seine Dame über den Kopf. "Schaut mal.", rief er den beiden zu, "Dirty Dancing!". "Wohl eher: Ugly Dancing.", lachte Mae. Erstaunlicherweise gab es für den Hexenzirkel bereits zahlreiche Interessenten. Die Werke die Mae in ihrer Galerie ausstellte entsprachen längst nicht allesamt ihrem persönlichem Geschmack, aber sie hatte bisher immer ein gutes Gespür für Trends und Puplikumswirksamkeit bewiesen. Gustav Brömmel wurde von Kritikern und Sammlern gleichermassen gefeiert, was wohl zu großen Teilen auch an seinem ausgeklügelten Pathos lag. Er gab in der Öffentlichkeit den überlegenen Intelektuellen und spielte seine Hybris mit unfassbarer Überzeugungskraft. Und er war ein Arschloch. Solange Mae sich diese Tatsache immer vor Augen hielt konnte sie gut mit ihm arbeiten. Caspar war noch ungeübt im Umgang mit Kritikern, oder Journalisten. Am besten verkörperte er die Rolle des geheimnisvollen Schweigers, während Mae das Reden für ihn übernahm. Auf ihren Rat hin, hatte er bei Vernisagen gelentlich Scheiben eingeschlagen oder die eine oder andere Skulptur umgeworfen. Mae verbuchte solche Aktionen unter Werbungskosten und erzielte immer ihre Wirkung.
Oft kam Caspar sich grenzenlos lächerlich vor.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen