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Dienstag, 1. Juni 2010

Onlineroman: Caspar - David - Frederic Teil2

Zu den natürlichen Rescourcen der Umgebung zählten vor allem Löwenzahn, Zigarettenstummel und Hundekot. Und auch wenn niemand deren Anbau gezielt kultiivierte gediehen sie prächtig auf den Gehwegen und in der erbärmlichen Parkanlage. Zwei von drei Laternen spendeten des Nachts spärliches Licht und beließen den Rest in gnädiger Dunkelheit. Der Rest, das war bei Tage betrachtet eine ehemalige Zechenwohnstadt mit verklinkerten Ziegelbauten, Kneipen und kleinen Buden, die in die sonderbarsten Anbauten gezwängt waren. Im Zuge halbherziger Versuche einer Stadtteilsanierung waren einige der baufälligeren Gebäude abgerissen worden, um dort Platz für die Träume von Kaufhäusern und dergleichen zu schaffen. Nachdem die ersten ausländischen Investoren, nach der Ortsbesichtigung, Tränen lachend abgezogen waren und sich auch hierzulande niemand wirklich erbarmen konnte, klaffte nun eine Lücke inmitten der Hauptstrasse. Abgesehen von der Hausnummer 43, die jetzt über einen wirklich breiten Vorgarten verfügte. Dieser beherbergte neben einem ausgebrannten Zigarettenautomaten noch die etwa gartenhausgroße Installation "Jupiter", die, laut fachkundiger Meinung, einen reinen Schrottwert von etwa 500DM hatte, allerdings Arbeits- und Transportkosten in Höhe von etwa 700DM verursacht hätte. Sie war Caspars erste Großskulptur und er hatte eigens einen Schweißerlehrgang für sie absolviert. Nun stand sie als rostendes Mahnmal des Größenwahns vor Oma Cohens Geranienbeeten und spendete deutlich zu viel Schatten in ihrer Küche. Im Sommer spielten gelegentlich Kinder auf ihr und im Spätherbst nisteten sich Igelfamilien in den Laubhaufen im Inneren der Skulptur ein. Im orangen Schein des Hochofen-Abstichs wirkte "Jupiter" fast wie ein Kunstwerk. Für Passanten bettete es sich allerdings ebenso nahtlos in die Umgebung ein wie die Sperrmüllhaufen, oder die Leichen der etwas gebrauchteren Gebrauchtwagen an der Strassenecke. Der Altbau selbst verfügte über drei Etagen und ein finsteres Kellergewölbe, das nach und nach seine Geheimnisse preisgab. Viele davon hatten mit Einmachgläsern und Schimmel zu tun, doch dabei sollte es nicht bleiben.

Oma Cohen bewohnte den größten Teil des Erdgeschosses und sie hatte es sich dort unten recht gemütlich gemacht. Die Möbel waren ein Sammelsorium verschiedenster Stile und Epochen, standen eng an- und übereinander. Hohe Bücherregale waren überall dort aufgestellt, wo normales Geradeausgehen einfach viel zu langweilig gewesen wäre. Dutzende kleine Lampen und Strahler erhellten die Ecken und Bereiche, die Oma Cohen für besonders interessant hielt. Land- und Postkarten an den Regalwänden und auf den Schranktüren rundenten das Gesamtbild ab. Omas erklärtes Ziel war es, keinen Besucher aus der Tür gehen zu lassen, ohne dass dieser wenigstens eine Kleinigkeit gelernt hätte. Und dann gab es noch das Uhrenzimmer, Omas persönlichen kleinen Tempel. Alexander Graham Cohen, ihr lang verstorbener Ehemann war gelehrnter Uhrmacher und Sammler gewesen.


Caspar erklomm die steile Treppe in den ersten Stock, in dem Dave seine Wohnung eingerichtet hatte. Mae folgte ihm mit stark unterdrückter Neugier. Bereits das Treppenhaus war sehenswert. Fotos und Postkarten waren liebevoll eingerahmt und zu einer Galerie arangiert worden. Die Zwischenräume waren ausgefüllt mit Zeitungsartikeln und kleinen Ölbildern. Auch einige quietschbunte Miniaturen von Caspar waren darunter. Schnorrer, der Hauskater, streifte an ihnen vorbei, futterwärts. Mae fing ihn mit einem entzücktem Blick ab, hob ihn hoch und gurrte nun unverständliche Dinge etwa eine Oktave über ihrer üblichen Sprechstimme. Der graublaue Persermischling war für Krauleinheiten immer zu haben und schnurrte tief und zufrieden.

"Ich geh dann schonmal vor, ja?" witzelte Caspar und schob die häßliche Lamellentür auf, die in Daves Wohnzimmer führte. "Hier wohnt der Dave..", teilte er dem Treppenhaus mit. Mae setzte den Kater vorsichtig ab und blickte durch den Türspalt. Sie erspähte dunkles Holz, einen hellen gepflegten Teppich und einen überdimensionalen Fernseher. In einer Vitrine an der Wand parkte das Modell eines Aston Martin DB5 und, ja ein Regal weiter befand sich die VHS-Sammlung mit den James Bond-Filmen. "Nach Connery die Sintflut!", dachte Mae und setzte ihren Weg Richtung Gipfelkreuz fort. "Und hier wohnt Frederic..", Caspar schob den Vorhang beiseite. "Na das ist mal ein Kontrast!", dachte Mae und betrachte das Apartement. Frederic schien bemüht gewesen zu sein, die Darstellung aus dem Möbelkatalog möglichst genau nachzuempfinden. Sogar die Ascessoirs in den modernen Regalen wirkten seltsam unpersönlich, bestenfalls schick. Dann fiel ihr Blick auf das Saxophon, das lässig in seinem Ständer ruhte. Mae erkannte Methode hinter dieser Einrichtung und lächelte. Alles im Raum war modern, aber beliebig, bis auf das Instrument. Es sollte dem geneigten Besucher, vermutlich eher der Besucherin, in etwa mitteilen: "Ach übrigens.. Musiker!". Vermutlich gab es auf dieser Etage irgendwo ein elegantes Doppelbett und eine stylische Musikanlage, vermutlich sogar mit einem CD-Spieler.

"Nett", sagte sie und kletterte weiter. Caspar bewohnte den Dachboden, dem der Begriff "groß" nicht wirklich gerecht wurde. Es war eher ein Haus im Haus, wenn auch gewisse Anhaltspunkte dafür sprachen, dass man sich hier tatsächlich unterm Dach befand, die Hitze zum Beispiel. Irgendwo im Gebälk gurrten Tauben und in einer versteckten Ecke rumpelte Omas alte Waschmaschine dumpf vor sich. Von der Treppe aus erreichte man eine hölzerne Plattform, die in etwa anderthalb Meter über dem eigentlichen Dachboden lag. Eine schmale Stiege führte von dort aus zu einem Zwischenboden, Caspars Schlafbehausung. eine schmale Küchennische gab es dort oben ebenfalls und, wie sich heraustellte sogar eine Duschecke mit Waschbecken. Von der Plattform aus überblickte man das Atellier, das einer Mischung aus Abstellkammer und Abenteuerspielplatz glich. Natürlich gab es hier Leinwände, Farben und diverses Werkzeug, etwas anderes jedoch nahm deutlich mehr Raum ein. "Wow!", Mae schnappte nach Luft und lachte kurz auf. "Der ganze Platz hier... Das ist alles deins? Hier könnten zehn Künstler arbeiten! ...Was zum Geier ist denn das??" Caspar stieg vor ihr die kleine Treppe hinuter zum Wald. "Ähm.. es gehört ja nicht mir.. ich habe es nur... gemietet"

"Wieviel bezahlst du der alten Dame?", Mae war ihm mit offenem Mund gefolgt und stand nun zwischen zwei mannshohen, bunten Gebilden. "Was ist DAS?!?", fragte sie noch einmal. "Der Wald der Träume...", murmelte Caspar und improvisierte einen Huster. "Und ich bezahle 200DM im Monat.", er hoffte inständig, dass sie sich damit abfinden würde, aber er kannte sie besser. "200DM?? Im Monat? Das ist doch ein Witz! So viel bezahle ich schon an Nebenkosten für... Wald der was?"

"Der Träume.", Caspar gab`s auf. Mae hatte noch nicht annährend alle Objekte erfaßt, aber es mußten in etwa zwei dutzend sein. Sie bestanden im Großem und Ganzem aus gestapelten buntbemalten Möbelstücken, Stühlen zum Beispiel. Hier und dort ragten andere Gegenstände aus den Gebilden hervor, wie Äste. Nudelhölzer, kaputte Schirme, Golf- Hockey- und Tennisschläger, waren allesamt mehr mit Verzweiflung als mit handwerklichem Geschick an die hölzernen Grundelemente genagelt, oder auch mit Draht daran festgewickelt. Einzeln betrachtet wirkten die Objekte vielleicht stümperisch und ungeplant. Wanderte man jedoch durch sie hindurch und ließ den Blick ein wenig verschwimmen... "Das ist schweinegeil!", rief Mae begeistert. Sie griff Caspar bei den Schultern und begann aufgeregt vor ihm auf und abzuhüpfen. Caspar kannte Mae seit einer Ewigkeit und so hatte sie sich noch nie verhalten. Es war schlichtweg unangemessen! Er sah sich um, was sie wohl in derartige Aufregung versetzt haben könnte. Außer dem Schrott gab`s hier doch nichts. Mae hatte ihre Fassung wiedergewonnen und blickte hinauf zur schmalen Einganggstür. " Nur wie bekommen wir die Dinger hier raus?", sagte sie laut. "Was jetzt?", Caspar begriff. "Den Wald etwa? Das sind doch nur ein paar Ideen, an denen ich mich austobe, wenn mir sonst wirklich gar nichts einfällt! Ich sammel den Krams auf dem Sperrmüll und mal ihn bunt an! Und.."

"Der Wald wird uns eine ganze Weile über Wasser halten!", prophezeihte Mae, "Glaub mir!"

"Du bist der Boss Mae." , murmelte Caspar. Glück klang anders.

"Ich fahr jetzt zur Galerie und telefonier ein wenig rum, wir brauchen mehr Platz."

Ihr Blick fiel auf einen Stapel brutal zugerichteter Leinwände. "Was ist denn damit?", fragte sie. "Bloss Schrott. Ich habe ein wenig experimentiert.", antworte Caspar gequält.

"Mitnehmen!", befahl sie. "Nein warte! Ich fahre jezt vor und du kommst später mit dem Krempel hier nach." Sie schaute zum Dach. "Wir werden wohl einen Kran brauchen...Und es könnte wohl ein paar Tage dauern das Dach... Und zur Bank...Morgen...", Mae brachte Ordnung in Dinge, die nicht für Ordnung konzipiert waren. Sie war wirklich gut darin, nicht etwa, weil sie selbst zur Pedanterie neigte. Wie bei einem scheinbar übermächtigen Waldbrand legte sie ein Gegenfeuer, ein Gegenchaos, das alle kleineren Katastrophen und Probleme in die Knie zwang. Ließ sich ein Kunde mit der Bezahlung eines Kunstwerks deutlich zu viel Zeit, belieferte sie ihn so lange mit scheußlichen Skulpturen, bis seine Mitarbeiter/seine Frau/seine Kunden um Gnade bettelten. Mae war nie da, wo man sie suchte und einen festen Termin mit ihr zu vereinbaren glich dem Versuch ein Eichhörnchen für Algebra zu begeistern.* Sie verschmähte Handtaschen und hochhackige Schuhe, liebte Notizzettel und Weingummi und kombinierte diese Dinge oft zu klebrigen Gebilden in ihrer Jackentasche. "Und sie hat den schönsten Arsch der Welt...", dachte Caspar und genoss den Ausblick, als Mae die Plattform erklomm, die zum Treppenhaus führte. Dann war er wieder allein in seiner gewaltigen Höhle. "Willkommen ihr Tropfsteine und Fledermäuse!", dachte er mißmutig. "UgaUga! An die Arbeit! Schaffen wir... Kunst!"


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