Caspar drehte sich noch einmal um. Er hatte bis vier Uhr morgens vor seiner Staffelei gesessen und sogar eine halbe Stunde gemalt. Es war IRGENDWAS und am Ende hatte er es überleimt und mit Schrauben und anderen Metallkleinteilen beworfen. Was kleben blieb war Kunst. Sein Digitalwecker zeigte 10:23Uhr. Das konnte nicht stimmen. Er stand mühsam auf und kletterte die Stiegen hinunter. Die erste vertrauenswürdige Uhr auf seinem Weg zum Klo zeigte 12.15Uhr. "Wußte ich`s doch", dachte er müde. Unterm Dach stand bereits die Hitze Caspar öffnete alle Luken und das große Seitenfenster und tappte unter die Dusche. 25 erfrischende Minuten später saß er mit einer Schale Cornflakes zwischen seinen Werkzeugen. Der Tag war nur für die technischen Aufgaben gut, wie Holz schleifen, anstreichen und lackieren. Der kreative Teil folgte erst viel später in der Nacht. Caspar verlängerte sie bis in den Folgetag. "The early bird catches the worm.", dachte er, "Aber: The early worm gets caught by the bird!" (Der frühe Vogel fängt den Wurm... Aber niemand fragt nach dem frühen Wurm!)
Prometheus hatte ihn viel Zeit und Schweiß gekostet, vor allem, weil er immer nach den passenden Werkzeugen suchte. Jetzt wollte Mae noch mehr Totems und er hatte ein Problem. Er konnte nicht einfach in den Wald und Bäume fällen. Den Stamm für Prometheus hatte er unter einem Haufen Schrott im Garten gefunden. Hmm.. eigentlich. Er stapfte die Treppe hinuter zu Oma Cohen. Sie war dabei das Mittagessen zu kochen und lächelte, als er die Küche betrat. "Guten Morgen der Herr. War die Nacht produktiv?", fragte sie warmherzig. "Leider nicht so, wie es sein sollte...Guten Morgen", antwortete Caspar beschämt. Oma Cohen sah ihm aufmunternd in die Augen, "Das wird schon noch! Hier... Ich hab das etwas entdeckt.", sie reichte ihm die Zeitung und deutete auf enen kurzen Artikel. EIN NEUER BRUNNEN FÜR DIE CITY, lautete die Überschrift. Anscheinend hatte man im Dezernat für Familie, Bildung und Kultur Wind davon bekommen, dass es auf der Einkaufsstrassse noch etwas Platz für moderne Kunst gab. Der ausgewiesene Ort war sogar halbwegs repräsentativ, lag im Bankenviertel. Es gab einen Wettbewerb um den Entwurf der noch gut zwei Monate lief.
"Ein Brunnen?", fragte Caspar.
"Nu... Bohr ein paar Löcher rein und verleg darin Rohre oder sowas.", Oma Cohen nickte zur Fensterseite.
Caspar grinste. "Jupiter? Sie glauben wirklich das Ding könnte in der Innenstadt stehen?"
"Da steht bedeutend Schlimmeres... Und schlimmer Bedeutenderes.", Oma Cohen liebte Wortspielereien. "Und in meinem Vorgarten wird es nur von Igeln gewürdigt."
"Immerhin!", sagte Caspar ".. ein dankbares Publikum! Frau Cohen, sagen sie mal.. Ich habe vor einiger Zeit einen alten Holzstamm aus dem Garten geholt..."
"Prometheus. Sehr.. bunt.", erinnerte sich Oma Cohen.
"Ja richtig! Ich würde gern noch ein paar davon machen. Im Garten hab ich nur den einen Stamm gefunden. Vielleicht gibt es ja auf dem Gelände noch irgendwo einen Stapel, oder sowas?"
Oma Cohen dachte kurz nach und meinte dann: "Im Keller wurde lange Holz gelagert. Ich erinnere mich allerdings nicht mehr genau wo. Es steht wahrscheinlich auch eine Menge Zeug davor. Nimm nur was du brauchst. Auch die Möbel oder was auch immer! Mach was draus!"
"Vielen Dank Frau Cohen! Wirklich Alles? Der Keller ist ziemlich voll mit... Allem!"
"Ramsch und alter Plunder! Mich schauderts wenn ich da runter muss!", gab die alte Dame zurück.
Caspar schnappte sich Kellerschlüssel und Taschenlampe und stieg die Kellerttreppe hinunter. Hier unten war es wenigstens kühl. Die vorderen Kellerräume waren halbwegs saniert worden.Sie beherrbergten nur einige Fahrräder und etwas Sperrmüll. Frederics kostbares Rennrad stand traurig unter einer maßgeschneiderten Plane und wartete auf sportlichere Zeiten. Dicke graue Brandschutzfarbe bedeckte Boden und Wände des Heizungskellers und mitten in der etwa einen halben Meter dicken Mauer führte ein Durchbruch zum eigentlichen Keller. Ein Tonnengewölbe aus dunklen Ziegeln vermittelte sofort jene angenehme Athmosphäre, die man sonst nur aus Freddy Krueger-Filmen kennt. Zu beiden Seiten des schmalen Ganges lagen, wie Gefängniszellen vergitterte Räume. Caspar funzelte mit der Taschenlampe durch die Latten und erspähte durchaus inspirierende Dinge. Eine der Kellerzellen enthielt nichts als ein zerbrochenes Waschbecken, andere waren bis zur Decke gefült mit Möbeln, Lampen, Teppichen und anderem Hausrat. Er kletterte auf einen Stapel Gerümpel und zog einen kleinen Bilderrahmen heraus. Im Schein der Lampe erkannte Caspar das Stilleben einer Vase mit blauen Kornblumen. Die Details waren liebevoll herausgearbeitet, was eine ruhige Hand und viel Geduld vermuten ließ. Ein Kribbeln wanderte Caspars Rückgrat hoch. Hier - im Keller gab es Kunst! Simple, ehrliche Kunst. Er schüttelte iritiert den Kopf. Was sollte das denn heißen? Ehrliche Kunst? Oma Cohens Flur war voll von solchen Bildern! Trotzdem... Einmal nur so malen! Mit Pinsel und Ölfarbe und einem guten Gemüt. Caspar legte das Bild vorsichtig auf den Stapel zurück. "Ok!", dachte er. "Ein gutes Gemüt... Gehöre ich eigentlich wirklich in dieses Jahrhundert?!?" Auf der Rückseite des Bildes stand etwas in einer altertümlichen Handschrift. "Der Mensch vermag jeden Augenblick ein übersinnliches Wesen zu sein", entzifferte er mühsam. Seine Sinne teilten ihm nur mit, dass es hier langsam ungemütlich wurde. Er kniete auf allen Vieren auf dem Haufen,der unter ihm bedrohlich knirschte. Wenn er sich auch nur leicht aufgerichtet hätte wäre sein Kopf an die Decke gestoßen. "Dann lass ich das mal lieber!", dachte er und versuchte stattdessen die andere Seite der Kellerzelle im Rückwärtsgang zu erklimmen. Caspars Fuß stieß an etwas Großes hinter ihm, was sofort in den Einflussbereich ungehemmter Gravitation geriet. Dem Klang nach war es ein alter Elektroherd. Eine sehenserte Kettenreaktion veränderte nun in kurzer Folge zunächst Caspars Aufenthaltsort und dann seine äußere Erscheinung.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen